Der Schriftdesigner Albert-Jan Pool. Foto: Michael Bundscherer

Albert-Jan Pool

Bleiben Sie dran!

Was ich an Lange geschätzt habe, ist, dass er gewissermaßen über den Dingen stand. Auch jemand wie ich, der bei zwei seiner nicht immer mit lauteren Mitteln kämpfenden Konkurrenten arbeitete, war für ihn stets ein geschätzter Kollege. Als ich ihn in den späten 1980ern kennenlernte, arbeitete ich bei Scangraphic. Die Firma war Berthold technisch weit voraus, aber unsere Schriftbibliothek enthielt viele schlecht nachgemachte und unter falschen Namen gehandelte Schriften, darunter auch welche von Berthold. Später bei URW ergab sich eine ähnliche Situation. Wie Linotype auch sah Berthold die Exklusivität ihrer Schriftbibliothek als Alleinstellungsmerkmal, mit der der Verkauf der von ihr entwickelten Satzsystemen gesichert und gesteigert werden konnte. GGLs Vision war es jedoch, die Berthold-Schriften als eigenständiges Produkt zu vertreiben und diese auch den Konkurrenten zu lizenzieren. Vor allem die International Typeface Corporation (ITC) stellte damals einen leuchtenden Beweis für die Lukrativität des Lizenzgeschäfts dar. Leider wurde GGL stets von den anderen Entscheidungsträgern der Firma überstimmt. Rückblickend hat GGL recht bekommen, die damaligen Satzsysteme und ihre Hersteller sind alle vom Markt verschwunden, die Schriften aber haben überlebt.

Als ich 2004 anfing, nach der Herkunft und Geschichte der DIN-Schriften zu recherchieren, stellte Kirsten Solveig Schneider den Kontakt zu GGL wieder her. Ich war gespannt, wie er meinem Interesse an den besagten Schriften begegnen würde, schließlich hatte er im famosen Schriftmusterbuch Berthold Headlines E3 Folgendes geschrieben: »Was passiert, wenn man Ingenieure und Technikern freie Hand lässt, zeigen die in diesem Buch enthaltenen DIN-Schriften.« Er zeigte mir jedoch bereitwillig alles, was er an Akten aus der Zeit um 1980 herum hatte. Damals hatte sich ein DIN-Arbeitsausschuss bemüht, die aus den 1930ern stammende Verkehrsschriften DIN 1451 Mittelschrift und -Engschrift zu überarbeiten. GGLs Ziel war es gewesen, die Schrift auf der Grundlage der Akzidenz-Grotesk zu verbessern. Die Vertreter des Verkehrsministeriums favorisierten jedoch die von dem Schriftenmaler Adolf Gropp gezeichnete Version, die mithilfe von Geraden und (Teil-)Kreisen konstruiert worden war.

Die Gespräche waren interessant – wie in seinen berühmten Vorträgen war er sich weder zu schade noch zu müde, seine Bewunderung für Walbaum und Bodoni, seine ungebrochene Liebe zur Fraktur und seinen unerschütterten Glauben an die Leserlichkeit der Akzidenz-Grotesk, nach seiner Auffassung die Großmutter aller Serifenlosen, zu bekunden. GGL hat aber nicht nur geglaubt, vielmehr war er ein Könner. Bis ins hohe Alter blieben ihm ein feinsinniges Gespür und ein scharfes Auge für die Schriftformen erhalten. Analog zu Weidemann wusste er, dass es bei der Gestaltung einer Schrift zugeht wie in der Liebe. Zu wenig und zu schwach sind hier fehl am Platz, wie auch zu viel und zu stark. Es ist die Kunst des feinen Maßes. Die Querelen um die Rechte an den Berthold-Schriften hatten ihn in seinen letzten Monaten spürbar geschwächt. Seine Liebe zur Schrift überlebte aber. Bis zuletzt hütete, pflegte und ergänzte er seine Fachbibliothek und seine Sammlung von Schriftmustern. Zusammen mit der von seinem Kollegen Bernd Möllenstädt verwahrten Schriftmusterbibliothek der ehemaligen Berthold AG bildet sie einen wahren Schriftschatz. Heute befindet sie sich in dem Archiv des Berliner Technikmuseums. Hier steht sie zusammen mit Sammlungen weiterer ehemaliger Mitarbeiter der Firma Berthold der Forschung zur Verfügung. Was immer die nächsten 100 Jahre der Schriftgestaltung und der Typografie bescheren werden, wir können uns glücklich preisen, dass GGL uns stets dazu ermutigt hat, auf seinen Schultern zu stehen. Beim Abschied sagte er mir stets: »Bleiben Sie dran!«

Albert-Jan Pool

Albert-Jan Pool während seines Vortrags auf dem Symposium »lesbar – Das Auge liest mit«, Wien 2019.
Foto: Michi Bundscherer