Matthias Schilling
Montags bei GGL
Von 1983 bis 1986 hatte ich das Glück, am Lehrinstitut für grafische Gestaltung U5 in München zu studieren. Schon damals war »die U5« bekannt für ihre namhaften Dozenten. Doch einer überragte alle: Günter Gerhard Lange, von uns nur GGL genannt, der Superstar der Typografie.
Seine Vorlesungen montags um 9 Uhr waren legendär. Lange vor Beginn strömten wir in den Raum. Wir saßen dicht an dicht, bis hinauf auf die Treppen. Keiner wollte fehlen, wenn GGL sprach.
Das Wort Vorlesung wird ihm nicht gerecht. Er sprach so, dass man hinhörte. Mitreißend. Klar. Direkt. In seiner schnoddrigen Berliner Art offenbarte er uns, dass Typografie mehr ist als das Aneinanderreihen von Buchstaben. Sie ist Kunst. Sie erzählt Geschichten. Sie lenkt den Blick und bestimmt, wie Leser den Inhalt wahrnehmen.
GGL sezierte Buchstaben wie ein Chirurg das Gewebe. Er machte uns vertraut mit Proportionen und Strichstärken. Er führte uns in die Tiefe jedes Details. Seine Leidenschaft war ansteckend. Und wir begannen, genauer hinzusehen und unsere eigenen Entwürfe kritisch zu hinterfragen.
Ein längeres Gespräch mit ihm wagten wir damals kaum. Er wirkte zu groß, zu sicher, zu brillant. Doch seine Wirkung blieb. Bis heute.
Günter Gerhard Lange hat meinen Blick auf Gestaltung verändert. Er lehrte mich, Typografie zu lesen — mit dem Auge und mit dem Verstand. Die Montagsstunden mit ihm an der U5 gehören zu den eindrücklichsten Momenten meiner Ausbildung.
Matthias Schilling, Grafikdesigner