Herbert Lechner: »Interview mit Günter Gerhard Lange«

Der novum-Autor Herbert Lechner sprach 2006 mit Günter Gerhard Lange über die Situation der Ausbildung im Designbereich.

Ihr ganzes Berufsleben haben Sie sich ja nicht nur mit Schrift, Schriftentwurf und -entwicklung beschäftigt, sondern sich stets bemüht, Ihr typografisches Wissen auch dem Nachwuchs zu vermitteln. Noch heute unterrichten Sie in München und Wien. Was bewegt Sie dabei?
Die eigenen Kenntnisse und Erfahrungen weiterzugeben. Was uns antreibt, ist das permanente Ärgernis: »Mein Gott, muß das so sein, kann man das nicht anders und besser machen?«

Und kann man etwas besser machen?
Man kann. In jedem Menschen steckt eine latente Begabung. Die herauszufinden ist meine Aufgabe als Lehrer. Wenn hundert Leute sagen, der/die kann nichts, hat schlechte Noten, die Schule geschmissen – ist alles egal. Jetzt ist die Stunde Null, fangen wir an. Aber nicht ganz von vorne, da ist dann alles unklar. Ich sage: Wir fangen da an, wo du stehst! Alles, was du jetzt tust, wird von mir beobachtet und begleitet in deinem Sinne, ich helfe, wenn du an einem Punkt festsitzt.

Fördert das nicht die vorschnelle Zufriedenheit mit dem eigenen Entwurf?
Keineswegs. Der Zweifel nagt in jedem Menschen und das ist gut so. Finden und Verwerfen müssen zusammenspielen. Manchmal liegt eine großartige Idee schon im Papierkorb, das macht nichts und gehört dazu. Zur Urteilsfähigkeit gibt’s Kriterien und Fakten.

Das kann doch zu unkontrollierbaren Ergebnissen führen, die dem Impetus des Dozenten zuwiderlaufen…
Nicht, wenn seine Erfahrungen international orientiert sind. Sie müssen gezwungen sein, ihre Ideen und ihr Repertoire plausibel zu erläutern. Du kannst alles machen, aber du mußt auch bereit sein, den Beweis für die bessere Lösung vorzulegen.

Bieten die Dozenten oft zu schnell fertige Lösungen?
Sie sollten sich selbst hinterfragen vor internationalem Niveau. Jeder Lehrer hat zu erahnen und daraufhinzuarbeiten, wo die eigentlichen Fähigkeiten des Studierenden stecken, und nicht sich selbst bestätigen wollen. Man muß als Dozent von sich selber absehen und sich nur der Sache verpflichtet fühlen, das Beste aus der Sache machen.

Wo sehen Sie konkrete Ausbildungsdefizite?
Was generell fehlt, ist ein stärkerer internationaler Austausch der Schulen und Lehrer. Nationale Eigenheiten sollen durchaus gewahrt bleiben, aber doch auf der Basis internationaler Erfahrung – sonst besteht die Gefahr eines neuen Nationalismus. Was wir brauchen, sind internationale fachbezogene Partnerschaften. Zum Nutzen der Studenten, aber auch der Lehrer!

Das klingt auch nach Kritik an den Ausbildern?
Es mangelt vielfach an kundigen Lehrern. Wie ich es sehe, besteht der Bedarf, Lehrer fortwährend »nachzuschulen«. Hier wird oftmals Altbekanntes nur wiederholt, das weckt kein Interesse beim Nachwuchs!

Und wie sieht es mit dessen Kenntnis aus?
Das Wissen ist erschreckend gering. Kunst, Geschichte, Musik, Ballett – selbst bekannte Namen … Was anderswo als Allgemeinbildung gilt und in Wechselbeziehung zur Gegenwart steht, fehlt in der Regel. Was lernen die eigentlich in der Schule?

Wie lautet Ihr eigenes Erfolgsrezept?
Ich bereite meine Vorträge themengerecht mit meiner Dia-Sammlung gründlich vor und arbeite daran, als wenn ich selber drin sitzen würde. Ich versuche den Zugang von allen Seiten zu finden, sei es über das Foto, die Malerei, die Schrift oder Architektur. Ich nutze alle Möglichkeiten, damit etwas ankommt. Man muß die Dinge zielgruppengerecht miteinander in Beziehung setzen, das Konservative und das Progressive, Wort und Bild im Wechselgesang, damit sie verständlich werden. Für mich ist zum Beispiel die ganze Kunsthistorie eine Geschichte des Designs. Dann sagen einem die Leute: »Herr Lange, was machen Sie sich denn so viel Mühe?« Aber ich muß sagen, das macht auch Spaß. Lebensqualität beginnt dort, wo man sich mit seiner Arbeit identifiziert. Dann hat man Spaß an der Sache. Das gilt es eigentlich zu vermitteln: Die Studenten erkennen, daß ihre Arbeit ihnen Selbstbestätigung bringt.

Ist es nicht so, daß gerade bei der Typografie-Ausbildung durch den Computer vieles im Ungefähren bleibt, die Kenntnis des grundlegenden Wissens verlorengeht? Wäre es nicht manchmal sinnvoll, wieder Bleibuchstaben und Buchdruck in die Hand zu bekommen, um zu spüren, was Schrift und Druck eigentlich sind?
In ausländischen Schulen ist das fester Bestandteil des 1. Semesters. Wer sich mit Schriftentwurf beschäftigt, sollte wenigstens eine solide Kenntnis der Buchstaben haben, ihrer Proportionen, Entwicklungen. Er sollte gegossene Lettern »erfahren« und kennen. Aber nur aus informativen und historischen Gründen im Sinne der Vertiefung. Weiter hilft nur das Gestaltbild der Form. Und die kann technisch auf vielfältige Weise entstehen. Wie es Wolfgang Weingart in Basel mal gesagt hat: Der Computer ist eigentlich nur der verlängerte Arm des Zeichenstifts. Dazu bedarf es der – wenn auch flüchtigen – Skizze, des Layouts, um »nebelvollem« Zappen zu entgehen. Die zeitgenössische Technologie bietet zahlreiche Programme, die in gekonnter Anwendung sogar genügend »Spielraum« für Originalität läßt.

TITEL

Herbert Lechner: »Interview mit Günter Gerhard Lange / Interview with Günter Gerhard Lange«. In: novum: world of graphic design 03/06. München: Stiebner, 2006. Seite 40 – 41.

JAHR

2006

FORMAT (B×H)

23 × 29,7 cm

INTERVIEW

Wiedergabe des kompletten Interviews mit freundlicher Genehmigung von Herbert Lechner

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