Horst Moser
Sie müssen mich besuchen
1995 erwarb ich in einem Antiquariat am Bodensee einen Teil des Nachlasses von Paul Renner. Günter Gerhard Lange war daran sehr interessiert und besuchte mich in meinem Münchner ›independent‹-Büro, um das Material zu studieren. Ich hatte einen Großteil der Bücher, Zeitschriften, Redemanuskripte, Briefe, Drucksachen, Original-Schriftblätter, Dokumentationen, Schriftproben etc. ausgebreitet und Lange sortierte stundenlang den Nachlass in drei Stöße: den ersten Haufen bezeichnete er als »bekannte Ware«, also z. B. Veröffentlichungen. Auf den dritten Haufen legte er »Erstrangiges«, also auch ein Blatt mit einer Schrift, zu der er sagte: »Von der hab ich nie etwas gehört«. Auf den mittleren Haufen kam alles, was so dazwischen lag. Über einige Stücke referierte er sehr ausführlich, manches legte er stumm auf den jeweiligen Stoß.
Ich hatte vor, über Renner ein Buch zu schreiben und zu gestalten, denn seinerzeit gab es nur Mediokres zu diesem Thema. Inzwischen sind einige Publikationen erschienen, meist jedoch nur zum Thema »Futura«. Lange begrüßte mein Vorhaben und sagte: »Sie müssen mich besuchen. Zu Renner, zur Futura habe ich fabelhaftes Material. Das sollten Sie einbeziehen«.
»Merke!«, ein Wort aus seinem Repertoire, ich hätte berücksichtigen sollen: Derartige Einladungen muss man sofort wahrnehmen. Ich hatte zu lange gewartet. Und dann ist Lange gestorben.
Das Buchprojekt steht inzwischen wieder oben auf der Agenda. Ich habe diverse Renner-Vorträge gehalten, einen Essay veröffentlicht (Renner als Lehrer) und ein noch ungedrucktes Buch zum Thema »Renner als Buchgestalter« geschrieben.
Horst Moser
Foto: Michi Bundscherer