Silvia Werfel
Leben und Rhythmus
Unvergessen bleibt mir meine erste Begegnung mit Günter Gerhard Lange im Jahr 1987. Er war eingeladen worden, an der FH Wiesbaden einen Vortrag über Typografie elementar zu halten, und traf mit dreißig Minuten Verspätung ein (Verkehrsprobleme). Nach einem großen Schluck Wasser aus dem bereitstehenden Glas legte GGL schon beim Gang zum Rednerpult los, seine erste Botschaft: »Für Typografie ist es nie zu spät.« Es folgte ein Parforceritt durch die Geschichte der Schrift und der Typografie, voller Bezüge zur Gegenwart, auch zur eigenen Berufsbiografie (Georg Belwe) und immer wieder mit dem Appell: »Seid mutig! Spielt, experimentiert, blickt über den Tellerrand hinaus! Begreift die Überfülle an gestalterischen Möglichkeiten als Chance. Aber: Verliert dabei nicht die Aufgabe und die Zielgruppe aus den Augen. »Wir sind zu allererst Dienstleister und haben einen humanen, wirtschaftlichen Auftrag.«
Seine Vorliebe für klassizistische Satzschriften teile ich zwar nicht, wohl aber die Überzeugung, dass es in der Typografie nicht nur auf handwerkliche Perfektion ankommt, sondern vor allem auch auf Lebendigkeit und Rhythmus.
In den nachfolgenden Jahren habe ich viele weitere Vorträge von GGL miterlebt, jeder einzelne mit eigenen Akzenten und immer begleitet von hervorragendem Bildmaterial. GGL verstand es, auch eine womöglich schon etwas müde Zuhörerschaft am Ende eines langen Veranstaltungstages mit Donnerstimme wach zu rütteln und für Typografie zu begeistern! Dass er junge Menschen unterstützte, wo er konnte, ist hinlänglich bekannt. Auch die Studentin Silvia W. hat er einst in München zum Gespräch empfangen. Ich hatte den Kontakt zu ihm gesucht, wollte mich mit ihm über Rudolf Koch und die Offenbacher Schule austauschen; er schenkte mir Zeit – und ein Buch über Georg Trump … Für alle, die sich mit Schrift und Typografie beschäftigten, hatte er ein offenes Ohr.
Für mich ist GGL einer der großartigsten Typografie-Lehrer und Botschafter des 20. Jahrhunderts.
Silvia Werfel
Foto: Lena Benecke